Ich bin Fachärztin für innere Medizin und interessierte mich schon während meiner Schulzeit für Psychologie. Mich faszinierten die Erkenntnisse Sigmund Freuds und ich wollte unbedingt Psychoanalytikerin werden.
Stark beeinflusst hat mich meine leider bereits verstorbene Großtante, bei der ich als Teenager Englisch Nachhilfestunden bekam.
Sie litt an einer auch heute noch mysteriösen Erkrankung dem "chronic fatigue syndrome" (CFS). Oft empfing sie mich im Bett liegend, weil sie aufgrund dieser Erkrankung unter immer wiederkehrenden grippeähnlichen Erschöpfungszuständen und starker Wetterfühligkeit litt.
In der Schulmedizin werden solche Symptome als Befindlichkeitsstörungen zusammengefasst und wenn sich dahinter keine Erkrankung finden lässt, sind diese auch kaum zu beeinflussen.
Sie wurde mehrfach unter dem Verdacht einer lavierten Depression an verschiedene Psychiater überwiesen jegliche medikamentöse Behandlungsversuche blieben aber unwirksam.
Meine Großtante interessierte sich für Psychotherapie und wir reflektierten regelmäßig über die Gefühle des anderen.
Diese Art der Gesprächsführung, die man im Fachjargon als Empathie bezeichnen würde, prägte mich in meiner weiteren Entwicklung.
Als ich nach der Matura unbedingt Psychologie studieren wollte, lud sie eine befreundete Psychoanalytikerin ein, die mich diesbezüglich beraten sollte.
Diese riet mir ab, Psychologie zu studieren. Es sei ein sehr mathematisch dominiertes Studium und die Inhalte, die mich so sehr interessierten, kämen darin kaum zur Sprache. In dieser Zeit bestanden zwei Möglichkeiten der Ausbildung zum Psychotherapeuten. Entweder das Studium der Medizin oder ein Kombinationsstudium bestehend aus Psychologie, Pädagogik und Publizistik. Ich entschied mich damals, Medizin zu studieren und habe es nie bereut, weil ich immer gerne als Ärztin gearbeitet habe.
Mit 23 Jahren litt ich aufgrund eines persönlichen Konflikts unter zahlreichen
psychosomatische Beschwerden, die sich schulmedizinisch kaum bis gar nicht nachweisen ließen, nachdem ich etliche Ärzte ohne Erfolg konsultiert hatte, entschloss mich damals zu einer Psychotherapie.
Dabei wurden mir die hinter den Symptomen liegenden Ursachen bewusst. Ein Prozess kam dadurch in Gang so einiges in meinem Leben zu verändern und damit meinem Körper wieder die Möglichkeit zu geben, sich zu entspannen und keine unangenehmen Symptome mehr bilden zu müssen.
Ich hatte es mir bereits zur Gewohnheit gemacht, über meinen Körper bestimmte Gefühle wie Zorn oder Traurigkeit auszudrücken, so wunderte ich mich immer wieder, warum eine bestimmte Situation, in der ich beleidigt wurde mich
kaum ärgerte oder traurig machte, bis kurze Zeit darauf unangenehme körperliche Symptome auftraten
Ich musste zuerst wieder diese Situationen erkennen lernen, um in einem zweiten Schritt darauf reagieren zu können.
Auch mein späteres Interesse für TCM entstand aus der Beziehung zu meiner Großtante.
Sie war eine sehr fortschrittliche Frau und versuchte wirklich viel, um von ihren Beschwerden befreit zu werden.
Schon in den 50er Jahren konsultierte sie einen buddhistischen Mönch, der Akupunktur ausübte und dessen Behandlungen zumindest kurzfristig eine Verbesserung erzielten konnten.
Ihre Erzählungen motivierten mich, schon während meines Medizinstudiums, Akupunktur zu erlernen und mich für diese empirische Medizin zu interessieren.
Es folgte ein Studienaufenthalt in China und schließlich knüpfte ich bei einem Aufenthalt in Kalifornien Kontakte zu einem TCM-Ausbildungszentrum in San Francisco. Über diesen Kontakt lernte ich eine steirische Ärztin, Dr. Verena Baustädter kennen, die nach ihrem TCM Studium in den USA, in Wien eine Schule gründete.
Dort nahm ich bereits an den ersten Kursen über die Diagnostik in der TCM teil.
Dabei wird über das Erscheinungsbild der Zunge, des Pulses und der Symptome eines Patienten eine Diagnose erstellt. Die Grundlagen der TCM beruhen auf der taoistischen Lehre von Yin und Yang. Die Therapie erfolgt über Ernährungsratschläge, Akupunktur, das Zuführen von Wärme (Moxen) das Schröpfen, die Verordnung von Kräutermischungen und vor allem regelmäßige Körperübungen, um die Energie im Körper bilden und in Bewegung halten zu können.
Im alten China galt es für einen Arzt als Schande, er wurde sogar von der herrschenden Regierung bestraft, wenn einer seiner Patienten erkrankte.
Unter diesem Druck entwickelten die Ärzte Methoden, um die Gesundheit zu erhalten.
Im Rahmen meines Aufenthaltes in China im Februar 1998 besuchte ich gemeinsam mit einem Kollegen um 6 Uhr morgens einen Park. Es war düster, neblig und kalt, ich bezweifelte sehr, dass Menschen in diesem Park sein könnten.
Zu meiner großen Überraschung war der Park komplett voll, man sah unterschiedlichste Gruppen, die gemeinsam Tai Qi oder Qi Gong ausübten, Menschen, die miteinander tanzten oder am Boden sitzend meditierten.
Die, die nicht mehr so recht konnten, wie beispielsweise alte Menschen, gingen einfach die flachen Stufen eines Tempels auf und ab.
Die Disziplin dieser Menschen, über Körperübungen ihre Gesundheit zu erhalten, hat mich nachhaltig beeindruckt.
Trotz der vielen Möglichkeiten, die uns die moderne, technische Medizin bietet, entscheiden eine vernünftige Lebensführung mit gesunder Ernährung und regelmäßiger Bewegung, über unsere Gesundheit und sollten in der ganzheitlichen Betrachtung unserer Patienten nicht vergessen werden.
Dr. Kathrin Stingl